Rondenbarg-Pilotverfahren gegen fünf Aktivist*innen startet am 3. Dezember (Rote Hilfe e.V. Bundesvorstand)

Die Verfahren im sog. Rondenbarg-Komplex sind nicht nur ein weiterer Höhepunkt in der massiven Repressionswelle gegen G20-Gegner*innen, die auch dreieinhalb Jahre nach dem Gipfel in Hamburg im Juli 2017 weiter ungebrochen ist. sondern mit insgesamt über 80 Angeklagten der größte Mammutprozess gegen Linke seit Jahrzehnten.

Am 3. Dezember 2020 beginnt nun der Pilotprozess gegen die fünf jüngsten Angeklagten, die bei den G20-Protesten noch minderjährig waren. Über viele Monate hinweg müssen die Heranwachsenden nun wöchentlich nach Hamburg zu ihren Prozessterminen pendeln, was eine ungeheure Belastung für die fünf Betroffenen darstellt. Die eigentlichen Ereignisse geben wahrlich keinen Anlass zu einem so aufgeblähten Prozess. Etwa 200 Demonstrant*innen, die auf dem Weg zu Blockadeaktionen waren, wurden am Morgen des 7. Juli 2017 in der Straße Rondenbarg in Hamburg-Bahrenfeld ohne Vorwarnung von einer BFE-Einheit angegriffen.

Bei diesem brutalen Polizeieinsatz wurden zahlreiche Aktivist*innen verletzt, elf von ihnen so schwer, dass sie im Krankenhaus behandelt werden mussten und bleibende Schäden davontrugen. Um die mediale und politische Debatte über diesen staatlichen Angriff, der auf Videos dokumentiert ist, in andere Bahnen zu lenken, setzte die Polizei von Anfang an auf massive Kriminalisierung der dort festgenommenen Gipfelgegner*innen, die tagelang in der Gefangenensammelstelle inhaftiert wurden. Der italienische Aktivist Fabio wurde sogar fünf Monate in Untersuchungshaft genommen und wegen seiner Beteiligung am Protestzug im Rondenbarg angeklagt – bis der Prozess im Februar 2018 platzte. Dennoch lässt die Hamburger Justiz in ihrem Verfolgungseifer nicht locker und richtet sich nun zunächst gegen die fünf jüngsten Aktivist*innen. Das juristische Konstrukt sieht nicht vor, individuelle strafbare Handlungen nachzuweisen oder den einzelnen Beschuldigten konkrete Straftaten zuzuordnen. Allein ihre Anwesenheit bei der Versammlung reiche aus, um ein gemeinsames Tathandeln zu unterstellen, was für eine Verurteilung ausreiche.

Straftaten einzelner Teilnehmer*innen könnten so allen vor Ort befindlichen Personen zugeschrieben werden. Sollte sich diese Rechtsauffassung durchsetzen, würde künftig jede Teilnahme an einer Demonstration ein enormes Kriminalisierungsrisiko bedeuten. Da die ursprünglich geplanten Großprozesse mit bis zu 19 Angeklagten sich als logistisch nicht durchführbar erwiesen, will das Landgericht Hamburg zunächst an diesen fünf Aktivist*innen exemplarisch die Beweisführung und Konstruktion der Vorwürfe durchexerzieren, die nach dem Willen der Staatsanwaltschaft auch in möglichen späteren Verfahren gegen ihre Genoss*innen angewandt werden sollen.

Die bewusste Auswahl der jüngsten Angeklagten hat für die Justiz den Vorteil, dass die unbequeme kritische Öffentlichkeit und solidarische Unterstützer*innen von der Verhandlung ausgeschlossen werden. Doch Solidarität lässt sich nicht aussperren: mit einem dezentralen Aktionstag am 28. November trugen Tausende ihre Unterstützung für die fünf Aktivist*innen auf die Straße. Unter anderem in Berlin, Hamburg, München und Köln, aber auch in zahlreichen kleineren Städten wie Braunschweig, Freiburg, Heidelberg, Kiel, Marburg, Münster, Regensburg und Stuttgart fanden im Rahmen der Solidaritätskampagne „Gemeinschaftlicher Widerstand“ Kundgebungen und Demonstrationen statt, die den Angeklagten zeigen, dass sie nicht allein sind. In weiteren Städten gab es Transparentaktionen und Veranstaltungen zum Thema. Am 5. Dezember wird eine bundesweite Demonstration in Hamburg folgen.

„Im Rondenbarg-Komplex tritt politische Justiz in ihrer reinsten Form zutage“, betonte Anja Sommerfeld vom Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V. „Seit dreieinhalb Jahren sehen sich die G20-Gegner*innen massiver Repression ausgesetzt, obwohl sich schon im Verfahren gegen Fabio gezeigt hat, dass die wilden Konstrukte der Staatsanwaltschaft selbst bei einer willigen Justiz keine brauchbare Grundlage für eine Verurteilung hergeben. Mit dem jetzigen Prozess treibt der Rachedurst des Staates neue Blüten, indem er die Jüngsten herausgreift und zu isolieren versucht. Gezielt will der Repressionsapparat ihre berufliche Perspektive zerstören, indem die fünf Heranwachsenden ab Dezember aus dem gesamten Bundesgebiet regelmäßig zu den ohnehin belastenden Prozessterminen nach Hamburg fahren müssen, obwohl ihnen keinerlei konkrete Straftaten vorgeworfen werden.“

Abschließend erklärte Anja Sommerfeld: „Die Rote Hilfe e.V. steht solidarisch an der Seite der Betroffenen und informiert auf der eigens dafür eingerichteten Sonderseite rondenbarg-prozess.rote-hilfe.de über den Verlauf. Wir rufen dazu auf, die Angeklagten zu unterstützen – durch Spenden, durch Öffentlichkeitsarbeit und durch den Besuch der Kundgebungen, die bei den Prozesstagen vor dem Gerichtsgebäude stattfinden. Die Rote Hilfe e.V. fordert die sofortige Einstellung der Verfahren im Rondenbarg-Komplex und aller politischen Prozesse.“

Am 3. Dezember 2020 findet zum Prozessauftakt ab 9.30 Uhr eine Kundgebung vor dem Landgericht statt. Der Verhandlungsbeginn ist um 10.30 Uhr.