Am Morgen des 7. Juli 2017 waren tausende Aktivist_innen unterwegs, um gegen den G20-Gipfel in Hamburg zu demonstrieren und ihn zu blockieren. Auch eine Gruppe von rund 200 Personen zog am frühen Morgen von einem Camp im Altonaer Volkspark los. Im Rondenbarg, einer Straße in einem Gewerbegebiet in Hamburg-Bahrenfeld, wurde sie gegen 06:30 Uhr ohne Vorwarnung von der für ihre Gewalttätigkeit bekannten Beweissicherungs- und Festnahme-Einheit (BFE) Blumberg (siehe Pressespiegel) angegriffen und brutal zusammengeprügelt. 14 Aktivist*innen wurden teilweise schwer verletzt und zogen sich z.b. offene Knochenbrüche zu, als sie von der Polizei zu einem Geländer gedrängt wurden, dass dabei zusammenbrach und dazu führte, dass Aktivist_innen auf den mehrere Meter tiefer liegenden Parkplatz stürzten. 58 Personen wurden noch an Ort und Stelle festgenommen, 12 von ihnen wurden sogar – teilweise über Wochen und Monate – in Untersuchungshaft genommen.

Polizeivideo von Einsatz am Rondenbarg
https://www.youtube.com/watch?v=eeT8SZWJURY
CN/Warnung: Dieses Video enthält Szenen brutaler Polizeigewalt

Die Geschehnisse am Rondenbarg sind zu einem Politikum in Hamburg geworden: Die Polizei hatte behauptet, sie sei von der Gruppe massiv mit Flaschen, Bengalos und Böllern beworfen worden. Kurz nach dem Gipfel tauchten allerdings Videos des Einsatzes auf, die die Darstellung der Polizei widerlegten. Zu sehen ist darauf eine Demonstration, die langsam auf die Polizei zugeht. Sehr vereinzelt fliegen Flaschen, dann stürmen die Polizeibeamt_innen los und bringen die Aktivist_innen äußerst brutal zu Boden. Die Polizei Hamburg ließ im Nachgang keine Gelegenheit aus, um die Geschehnisse am Rondenbarg zu kriminalisieren. So wurde zum Beispiel im Rahmen einer Öffentlichkeitsfahndung nach weiteren Aktivist_innen gefahndet, im Dezember 2017 wurden durch die sogenannte Soko „Schwarzer Block“ 23 Wohnungen in mehreren Bundesländern im Zusammenhang mit dem „Rondenbarg-Komplex“ durchsucht und bei jeder Pressekonferenz der Polizei linke Feindbilder heraufbeschworen.

Mittlerweile sind über 85 Aktivist_innen von der Staatsanwaltschaft Hamburg im sogenannten „Rondenbarg-Komplex“ angeklagt. Ihnen wird gemeinschaftlicher schwerer Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung, Widerstand gegen und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamt_innen, Sachbeschädigung und Bildung bewaffneter Gruppen vorgeworfen.

Nachdem ein erstes Verfahren im „Rondenbarg-Komplex“ gegen den italienischen Genossen Fabio V. nach fünfmonatiger Verhandlung bereits im Februar 2018 ohne Ergebnis geplatzt war, sollte im Dezember 2020 – dreieinhalb Jahre nach dem G20-Gipfel – ein weiteres Verfahren gegen die fünf jüngsten Beschuldigten als Pilot-Verfahren im beginnen. Sie gehören zu einer Gruppe von 19 angeklagten Jugendlichen und Heranwachsenden, gegen die aufgrund ihres damaligen Alters nach Jugendstrafrecht verhandelt werden soll(te). Dieses Verfahren wurde im Januar 2021 aufgrund der Corona-Pandemie ausgesetzt und seither nicht wieder eröffnet.

Anfang 2024, fast sieben Jahre nach dem G20-Gipfel in Hamburg setzt die Hamburger Staatsanwaltschaft ihre Verfolgung der politischen Proteste fort. Im dritten Anlauf im so genannten Rondenbarg-Komplex stehen ab 18.1.2024 sechs Gipfelgegner*innen wegen ihrer Teilnahme an der Demonstration vor Gericht.

Das Verfahren bedeutet nicht nur eine Kriminalisierung der G20-Proteste, sondern hat für die gesamte politische Bewegung erhebliche Bedeutung. Denn den Angeklagten werden gar keine individuellen Straftaten vorgeworfen. Nach dem Konstrukt der Staatsanwaltschaft soll allein die Anwesenheit der Beschuldigten vor Ort genügen, um ein gemeinsames Tathandeln zu unterstellen und eine Verurteilung wegen Landfriedensbruch (§ 125 StGB) zu rechtfertigen. Die Staatsanwaltschaft macht sich dabei ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Mai 2017 zu eigen, in dem der BGH im Fall einer Hooligan-Schlägerei geurteilt hatte, dass es für den Straftatbestand des Landfriedensbruchs nicht zu einer eigenen Beteiligung oder (psychischen) Beihilfe – was eigentlich die Voraussetzung für eine Strafbarkeit ist – kommen muss, sondern dass das so genannte „ostentative Mitmarschieren“ bereits ausreiche. Falls sich diese Rechtsauffassung auch für den Bereich der Versammlungen durchsetzen sollte, wäre künftig jede Teilnahme an einer Demonstration mit enormen Kriminalisierungsrisiken verbunden. Straftaten Einzelner könnten so allen vor Ort befindlichen Personen zugeschrieben werden.