Bericht vom dritten Prozesstag (8.2.24)

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Der dritte Prozesstag beginnt um 9:30 Uhr vor knapp 40 solidarischen Zuschauenden. Zu Beginn erläutert die vorsitzende Richterin, dass der Prozess nun gegen nur noch zwei Angeklagte weitergeführt wird. Eine Angeklagte hat der vorläufigen Einstellung des Verfahrens gegen sie zugestimmt und eine Geldauflage in Höhe von 600 Euro akzeptiert. Ein anderer Angeklagter hat der vorläufigen Einstellung des Verfahrens zugestimmt und eine Geldauflage in Höhe von 300 Euro akzeptiert. Eine weitere Angeklagte konnte zum heutigen Prozesstermin krankheitsbedingt nicht anreisen. Ihr Verfahren wurde abgetrennt.

Die Inaugenscheinnahme der Beweisvideos wird fortgesetzt. Zunächst wird seitens des Gerichts und der Staatsanwaltschaft erläutert, dass die von Anwalt Wedel angesprochenen Videos mit unterschiedlichen Erstelldaten identisch seien und sich das Erstelldatum augenscheinlich auf den Zeitpunkt der Versendung beziehe. Die Videos zeigten keine optischen Unterschiede und hätten dieselben Meta-Daten.

Anwältin Rohrlack verliest eine Erklärung nach Paragraf 257 Abs. 2 StPO, nach der die bereits in Augenschein genommenen Videos den Anklagevorwurf bereits widerlegen. So ist auf den Videos zu sehen, dass die Demonstrierenden weder einheitlich schwarze Kleidung trugen noch vermummt waren. Sie sind auch nicht marschiert, in einer besonderen Formation gelaufen oder sonst wie militärisch aufgetreten. Sie haben keine Steine bei sich geführt und waren nicht bewaffnet, lediglich Einzelne haben sich vom Ende der Demonstration gelöst, haben sich gebückt, möglicherweise etwas aufgehoben und dann wieder zur Versammlung aufgeschlossen, ohne dass die vor ihnen laufenden Demonstrierenden dies mitbekommen haben. Die Angeklagten sind auf den Videos nicht zu identifizieren.

Die Angeklagten geben eine Erklärung zur Ablehnung des Einstellungsangebotes ab, die sie abwechselnd vortragen: „Wir haben uns entschieden, die von der Staatsanwaltschaft geforderten Auflagen abzulehnen. Seit sechseinhalb Jahren leben wir in Ungewissheit über den Ausgang des Verfahrens. Die Entscheidung ist uns nicht leicht gefallen: für jede*n von uns ist es eine Belastung, hier vor Gericht zu stehen. Als Angeklagte stehen wir unter einem enormen Druck mit ernsten beruflichen, finanziellen und gesundheitlichen Einbußen. Für eine Mitangeklagte war sogar ihr Aufenthaltsstatus von dem Ausgang dieses Verfahrens abhängig. Manche von uns haben das Angebot deshalb notgedrungen angenommen. Wir alle kritisieren aber einheitlich die von der Staatsanwaltschaft geforderten Auflagen …“ 

Hier die komplette Erklärung [https://gemeinschaftlich.noblogs.org/prozesserklaerung-der-angeklagten-vom-08-02-2024/]. Die Staatsanwaltschaft äußert sich hierzu nicht.

Es folgen weitere Videos und Erklärungen der Anwält*innen, dass auf ihnen kein „ostentatives Mitmarschieren“, keine einheitliche Vermummung und keine Straftaten der Demonstrierenden zu sehen sind. Vielmehr zeigt ein etwa halbstündiges Video vom Dach eines Einsatzwagens, wie die Polizei den auf sie zukommenden Demonstrationszug angriff, auf Demonstrierende einprügelte und diese dann zum Straßenrand verbrachte. Es erfolgte keine Durchsage der Polizei zur Auflösung der Versammlung und keine Aufforderung, sich vom Ort zu entfernen. Die Verteidigung und die Staatsanwaltschaft diskutieren über die Auslegung von Vermummung, die Rechtswidrigkeit der Versammlung beziehungsweise den Schutz der Versammlungsfreiheit für eine angeblich unfriedliche Versammlung. Die Staatsanwältin behauptet, der Angriff sei vom „schwarzen Block“ ausgegangen, es habe auch vor der Videosequenz bereits einen Angriff auf eine Polizeieinheit aus Eutin gegeben und es seien aus der Demonstration Steine und Rauchkörper in Richtung der Polizei geflogen. Zu diesem Zeitpunkt sei für jede demonstrierende Person ersichtlich gewesen, dass diese Versammlung nicht mehr friedlich sei. Anwalt Richwin berichtet, dass beim Rondenbarg-Prozess gegen Fabio V. der angebliche Angriff auf Eutiner Polizist*innen nicht nachgewiesen werden konnte. Zudem ist in dem Video zu hören, dass der Befehl an die Polizist*innen von Anfang an lautete, „Personen aufzunehmen“. Es handelte sich daher offensichtlich nicht um eine Reaktion auf einen vermeintlichen Angriff durch die Demonstrierenden.

Bei weiteren Videos fehlt zunächst die Tonspur – erst nach Nachfrage durch die Anwält*innen wird das Video erneut mit Tonspur betrachtet. In den einordnenden Erklärungen der Anwält*innen wird hervorgehoben, dass die Helme und Uniformen der Polizist*innen bereits vor dem Einsatz Farbflecke aufwiesen. Zudem sind auf den Videos aufgemalte Parolen gegen G20 auch an Stellen erkennbar, die die Demonstration noch gar nicht erreicht hatte.

In den Videos sind viele Gewalttaten durch die Polizei dokumentiert: die gewaltsame Auflösung der Versammlung wird durch laute Kampfschreie der BFE Blumberg begleitet. Es sind durch Polizist*innen verübte Faustschläge mitten ins Gesicht, ein Bodycheck aus vollem Lauf und Tritte auf am Boden liegende Personen zu sehen. Die Gewalthandlungen durch die BFE Blumberg werden von den Anwält*innen als unverhältnismäßig eingestuft. Aufgenommene Kommentare von Polizisten wie beispielsweise „Ja, das war ein kurzes Ding“ spiegeln die Einstellung der BFE Blumberg wider. Ein weiteres Video zeigt, wie sich von anderer Seite ein Wasserwerfer nähert, während sich der Demonstrationszug durch den Angriff der BFE Blumberg in Auflösung befindet. Durch den Wasserwerfereinsatz werden die Demonstrierenden in Richtung der BFE Blumberg getrieben.

Es ist zu sehen, dass während des gewalttätigen Einsatzes der Polizei viele Betroffene panisch und schreiend im Laufschritt auf einen Parkplatz flüchten. Die Demonstrierenden wollen sich der Situation entziehen und suchen keine gewalttätige Auseinandersetzung.

Zudem ist zu erkennen, dass Personen, die vorher nicht am Ort des Geschehens waren, nach der gewaltsamen Auflösung der Versammlung durch die Polizei dorthin gebracht werden. Es ist jedoch nicht zu erkennen, wo sich die beiden Angeklagten vor Auflösung der Versammlung befunden haben. Es wird von den Anwält*innen angemerkt, dass die Videoqualität zu gering ist, um die Angeklagten eindeutig zu identifizieren.

Die Anwält*innen betonen, dass es sich um eine gemeinsame Meinungskundgebung nach außen – also eine Versammlung – gehandelt hat. So ist in den Videos zu sehen, dass die Demonstrierenden Megaphone dabeihaben. Hingegen ist nicht zu sehen, dass die Demonstrierenden Waffen mit sich führen. In einer Fotoserie werden sichergestellte Sachen wie Steine und Transparente gezeigt. Auch eine Säge wurde sichergestellt. Die Anwält*innen ziehen jedoch in Zweifel, dass diese Säge auf der Versammlung mitgeführt wurde. Vielmehr ist anzunehmen, dass diese Säge schon vorher in einer roten Plastikkiste im Gebüsch lag. Auch bei anderen Gegenständen sei es unklar, wo diese gefunden wurden und ob diese tatsächlich von den Demonstrierenden mitgeführt wurden.

Die Videos zeigen, dass sich insgesamt etwa 200 Personen in der Versammlung befunden haben müssen: etwa 70 Personen wurden am Rondenbarg festgesetzt, etwa 90 Personen fliehen über ein Firmengelände und etwa 20 Personen sammeln sich hinter dem Wasserwerfer. Daher weisen die Anwält*innen schon an dieser Stelle darauf hin, dass Zeug*innenaussagen, in denen von 50 Versammlungsteilnehmer*innen die Rede ist, fragwürdig sind.

Ein Antrag der Anwält*innen zur Sichtung eines Videos, das den Tag der offenen Tür am 27.08.2022 bei der BFE Blumberg dokumentiert wird angenommen. Das Video soll am Freitag, 09.02.2024 gesichtet werden. Mit diesem Video sollen die Vorprägungen und Einstellungen der Polizist*innen nachgezeichnet werden. In nachgestellten Szenen werden bei dem Tag der offenen Tür Demonstrierende als hasserfüllt und gewaltbereit dargestellt. Während die BFE zwar trainiert, welche Schritte zur rechtmäßigen Auflösung einer Versammlung zu erfolgen haben, weicht die tatsächliche Praxis am Rondenbarg davon ab: hier erfolgte ohne Vorankündigung ein direktes gewaltvolles Handeln.

Im Anschluss an die Mittagspause wird die Inaugenscheinnahme fortgesetzt. Es werden zwei weitere Videos von der Eutiner Polizeieinheit gezeigt. Darauf folgt ein Video des USK Bayern wie es den grünen Finger attackiert und die Demo am Weiterlaufen hindert.

Es folgen Lichtbildmappen, die Kratzer an Autos dokumentieren. Eine weitere Lichtbildmappe zeigt einen beschädigten Bushaltestellen-Infokasten. Es folgt eine Schadensanzeige über den beschädigten Infokasten. Anwalt Richwin weist darauf hin, dass dieser Schaden laut Anzeige erst am 10.07.2017, also erst drei Tage nach der Demo, gemeldet wurde. Es folgen weitere Lichtblätter mit unter anderem einem schwarz angesprühten Polizeihelm, einem beschädigten Polizeifahrzeug und einer besprühten Fassade. Anwalt Richwin merkt an, dass ein angeblicher Zusammenhang zwischen der Demo und den beschädigten PKW nicht nachgewiesen ist. 

Die Augenscheinliste ist nun abgeschlossen. Die vorsitzende Richterin kündigt für den nächsten Verhandlungstag die erste Zeug*innenvernehmung an. Ein weiterer für diesen Tag geplanter Zeuge ist erkrankt und wird nicht kommen.
Die Verhandlung endet an diesem Tag um 14:32 Uhr.