Am 6. Prozesstag sind etwa 25 Prozessbeobachter*innen da. Es gibt nach wie vor Kontrollen inklusive Schuhe ausziehen. Von der Staatsanwaltschaft ist wieder nur Helfen da.
Auf die Frage der Richterin Boddin, ob es schon Meinungen zur Selbstleseliste gibt, regt Anwalt Wedel an, das Wortprotokoll des Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft vom 17.05.2018 auszugsweise in die Leseliste zu übernehmen. Dort war unter anderem Rondenbarg Thema. Das wird die Richterin machen und bittet um den Link. Sie führt die Selbstleseliste als Anordnung offiziell ein.
Danach kommt der Zeuge Michael R., ein Kraftfahrer. Er war am 07.07.2017 auf dem Weg zur Firma Transthermos, kam von der Autobahn runter und musste an einer Ampel warten. Da sah er 80 bis 100 komplett schwarz gekleidete Personen mit Kopfbedeckung, der Rest war „normal“. In der polizeilichen Vernehmung hat er gesagt „ziemlich vermummt, außer das Gesicht“. Sie seien sehr geordnet „wie früher bei der Bundeswehr“ in normalem Tempo gelaufen. Beim Weiterfahren in der Schnackenburgallee seien zwei PKWs vor ihm gewesen. An einen Müllwagen oder Kehrwagen erinnert er sich nicht. Er hatte auch ein paar Fotos gemacht und der Polizei gegeben. Auf Nachfrage von Richterin Boddin, ob er Angst hatte, sagt er „ja, schon“, um das neue Auto. Unter der Autobahnbrücke hätten welche Bauzäune und Straßenschilder auf die Straße geräumt und Rauch und Pyro gezündet. Wie Steine auf die Straße gekommen sind hat er nicht gesehen, die lagen da. Bewurf hat er keinen gesehen. Er konnte aber weiterfahren nur nicht in den Rondenbarg einbiegen, da war alles voll Polizei. Er ist dann vom anderen Ende in den Rondenbarg gefahren und in die, aus der Richtung äußersten Einfahrt des Firmengeländes von Transthermos. Als er später wieder los fuhr konnte er durch die Polizei nicht wie gewollt nach links auf den Rondenbarg abbiegen und musste nach rechts fahren. Ecke Holstenkamp ist er dann auf eine Personengruppe in blau gestoßen. Polizei war dort ebenfalls anwesend. Am Samstag ist er aus Neugier privat in das Schanzenviertel gefahren, dort habe er auch Fotos gemacht.
Bis der nächste Zeuge kommt werden Fotos, Screenshots aus Videos und Videos angeschaut. Screenshots aus der Überwachung des HSV-Stadions, Bilder des gesprühten „No G20“ an der Firma Matthies, schwarze Schuhe mit weißen Sohlen und Screenshots jedes einzelnen vermeintlichen Steins- und Pyro-Wurfs als die BFE Blumberg die Demo angreift: angebliche 14 Steine und 4 Pyro. Dazu merkte Anwalt Wedel an, dass es nur ein Rückschluss aus Gefundenem sein kann. Es sei unmöglich auf dem Video zu erkennen, ob es sich um Steine handele.
Es folgt ein Überwachungsvideo der Firma Transthermos, in dem Leute, die über den Parkplatz laufen und hinter einem Gebäude verschwinden. Zwei Personen bleiben jedoch stehen und ziehen sich um. Uniformierte Polizei, die den Leuten mit etwas zeitlichem Abstand versuchen zu folgen, ignorieren diese beiden stehengebliebenen Personen. Die Verteidigung legt dazu nahe, dass es sich bei diesen Personen möglicherweise um zivil gekleidete Polizeibeamte handelt.
Im Weiteren folgen Zusammenstellungen der „SOKO schwarzer Block“ aus Screenshots und Videos, in denen vermeintlich je eine der beiden angeklagten Personen zu sehen sein soll, fast immer rot eingekreist, zumal auch extrem unscharfe Videoschnipsel enthalten sind. Daher wundert sich die Verteidigung auch hier zum Teil, wie da irgendwas zu erkennen sein soll.
Nach kurzer Pause kommt der nächste Zeuge. Alexander R. ist beruflich als LKW-Fahrer am 07.07.2017 unterwegs. Er ist mit einem großen weißen LKW mit schwarzer Aufschrift „Schwarz“ zur Firma Schwarz im Rondenbarg unterwegs. Als er die Autobahnabfahrt runterkommt und an einer Ampel stehen bleiben muss, sieht er direkt schwarz gekleidete Leute, meistens mit Kapuzen, die Gesichter waren frei. Er hat gedacht das ist eine Demonstration, irgendwie G20. Die Frage von Richterin Boddin, ob er Sorge vor etwas hatte, beantwortet er damit: er habe nur gedacht, er will nach Hause. Als er von der Ampel los fährt ist er direkt hinter der Demo. Er sieht eine 1,70 Meter große Person, die einen Stein in die Bushaltestelle schräg gegenüber der Firma Matthies wirft, worauf die linke Seite kaputtgegangen sei. Die gleiche Person habe auch einen Container auf die Straße geschoben und bei der Firma Matthies was mit G20 gesprüht. Mehrere Personen hätten Bauzaun-Elemente auf die Gegenfahrbahn geschmissen. Es lagen auch Steine auf der Fahrbahn, da hat er nicht gesehen wo die herkamen. Außerdem hat er zwei weibliche Personen gesehen, die Kameras dabei hatten. Die Demo wirkte nicht organisiert auf ihn und war in langsamen Tempo unterwegs. Andere Fahrzeuge hat er keine wahrgenommen, er hat angenommen, dass ein paar hinter ihm sind. Er konnte die ganze Zeit ungehindert weiter hinter der Demo herfahren und auch hinter dieser in den Rondenbarg einbiegen. Bewurf hat er keinen gesehen. Erst dort nimmt er Polizeifahrzeuge vor sich wahr und muss stehen bleiben. Er nimmt an, das die Polizei von der Gegenfahrbahn in den Rondenbarg eingebogen sind, weil überholt haben sie ihn nicht. Er ist ausgestiegen und hat die Polizei gefragt, ob er von der anderen Seite des Rondenbarg zur Firma Schwarz kommt, aber das ging auch nicht, die Polizei sagt ihm, ab „Jaguar“ – Laden an der Ecke Rondenbarg/Hostenkamp – ist alles dicht. Er hat „wie eine Lawine die Leute über den Zaun“ gesehen. Vor Jahren war er schon mal als Zeuge beim Verfahren gegen Fabio.
Als der Zeuge entlassen ist fasst Anwalt Wedel zusammen: Es wurden jetzt fünf Zeugen gehört, die direkt hinter der Demo waren und beschrieben haben was sie gesehen haben. Wenn die Anklage behauptet, die Versammlung sei wegen des Bewurfs auf die Eutiner BFE an der Einfahrt Rondenbarg/Schnackenburgallee unfriedlich, dann ist jetzt klar, es hat keinen Bewurf gegeben. Aus der Verhandlung gegen Fabio ist auch klar was noch kommt. Es stellt sich die Frage, das Verfahren jetzt ohne Auflagen einzustellen. Staatsanwalt Helfen erwidert darauf, dass das Verfahren wegen ihm schnell zu Ende gehen kann, aber es sei eine bedrohliche Menge gewesen, das sei Landfriedensbruch. Daher Einstellung nein, Verurteilung ja. Auf diese Erwiderung entgegnet Anwalt Wedel, dass es so bedrohlich nicht gewirkt haben kann, wenn alle im Schritttempo direkt hinter der Demo fahren und ein Zeuge aus Neugier einen Tag später direkt zur Schanze fährt.
Um 12 Uhr ist der Prozesstag beendet. Am 14.03.2024 geht es um 9:30 Uhr weiter, dann im kleineren Raum 288