Der Prozess beginnt um 09:35 Uhr im Saal 288. Weiterhin sind vor Prozessbeginn umfangreiche Einlasskontrollen angesetzt. Anwesend sind die Richter*innen Boddin, Pohle und Werner, drei Schöff*innen, Staatsanwältin Meesenburg, die beiden Angeklagten und ihre Anwält*innen – Schrage, Rohrlack, Wedel und Richwin – sowie 12 Prozessbeobachter*innen.
Geladen sind an diesem Prozesstag zwei Zeugen: Zum einen der Ermittlungsleiter des Teams 1 der Soko „Schwarzer Block“, Richters sowie der Polizist Michalak, der am 07.07.2017 einen Einsatz als ziviler Aufklärer hatte.
Die Richterin Boddin eröffnet den Prozesstag mit dem Hinweis, dass die Erklärungen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung erst zum Ende des Prozesstages erfolgen und zuallererst der Zeuge Richters angehört werden solle. Richters ist Kriminalbeamter in Hamburg und hier zuständig für politische Straftaten. Im Anschluss an den G20 war Richters „Ermittlungsführer“ von Team 1 der Soko Schwarzer Block, das für die Untersuchungen rund um Rondenbarg zuständig war. Bevor Richters selbst zu Wort kommt skizziert die Richterin Boddin welche Themenkomplexe sie an der Zeugenaussage von Richters interessiere. Hierzu gehöre der Ermittlungsverlauf, die Identifizierung Beschuldigter, die Durchsuchungen, was zu den Vorbereitungen der Proteste ermittelt wurde und die Frage, ob es konkrete Ermittlungsergebnisse zu den Angeklagten gäbe. Richters bejahrt, dass er sich umfangreich auf diesen Termin vorbereitet hätte.
Richters beginnt seine Aussage, nach einer kurzen Vorstellung seiner Person, damit, dass er gerne schon im Vorhinein des G20 eine Soko geplant hätte, die gleich einsatzbereit gewesen wäre. Dies wäre jedoch versäumt worden. Dadurch gab es einen erhöhten Arbeitsaufwand und die Soko konnte erst am 17.07.2017 – also neun Tage nach dem G20-Gipfel – ihre Arbeit aufnehmen. Auch Videoaufnahmen und Berichte wären somit nicht gleich automatisch übermittelt worden, sondern hätten erst zusammengesucht werden müssen. Als Teamleiter habe Richters die Ermittlungen strukturiert und organisiert und Ermittlungsaufträge an seine Mitarbeitenden erteilt.
Zu den Hamburger Ermittler*innen wurden weitere aus anderen Bundesländern hinzugezogen. Zuallererst sei eine „Tatort“-Begehung erfolgt, die Ermittler*innen wären die Strecke abgelaufen beziehungsweise abgefahren, zum Beispiel um zu schauen welche Firmen vor Ort sind, von denen Videomaterial erhalten werden könnte. Auch aus der Bevölkerung sei Videomaterial dazugekommen. Dieses wurde nach und nach ausgewertet und im Laufe der Ermittlungen kamen immer weitere Aufnahmen hinzu. Bei der Vorort-Begehung zwei Wochen später hätten die Ermittler*innen keine Beschädigungen mehr festgestellt, einzig das abgebrochene Geländer im Rondenbarg sei noch sichtbar gewesen.
Die Ermittlungsgruppe habe Kontakt zu den „Blumberger Beamten“ aufgenommen. BFE Blumberg hat dann zu den einzelnen Beschuldigten Personenakten angelegt. Richters wäre relativ schnell klar gewesen, dass er durchsuchen möchte. Da wo Gegenstände nach der Festnahme abgenommen worden waren, habe man Durchsuchungen durchgeführt. So seien zum Beispiel auch bei der Entlassung von Festgenommenen aus der Gesa Datenträger wie Digitalkamera und Handy zurückgegeben worden, die, laut Richters, als Beweismittel hätten eingezogen werden müssen. Es wurden am 05.12.2017 insgesamt bei 22 Personen in 25 Objekten in acht verschiedenen Bundesländern Durchsuchungen durchgeführt. Insgesamt seien etwa 300 Asservate beschlagnahmt worden deren Auswertung sich über Monate hinzog. Das für Richters interessanteste Dokument sei jedoch gar nicht bei diesen Durchsuchungen, sondern bei einer Durchsuchung, die kurz vor dem G20 wegen eines anderen Verfahrens erfolgt war, beschlagnahmt worden. Die damaligen Ermittler*innen hätten den Wert dieses sogenannten Strategiepapiers gar nicht erkannt, sondern Richters erst im Zuge der Ermittlungen zu Rondenbarg. Hierbei handle es sich um eine Skizze des Aktionstages mit konkreter Planung. Siehe hierzu auch Prozessbericht 04 vom 09.02.2024.
Sie hätten auch sehr viele WhatsApp-Chatverläufe der Bonner Jugendbewegung ausgewertet, in denen sich über die Ereignisse ausgetauscht worden war und darüber, dass es zu Gewalt gekommen sei und man sich davon distanziere. Laut Richters habe man in diesen Nachrichten quasi der Polizei auch eine Berechtigung zugestanden, dass sie eingeschritten seien.
Die Richterin Boddin fragt, ob die Ermittlungen ergeben haben, dass es im Vorfeld zur gemeinsamen Organisationsplanung Kontakt zwischen dem Roten Aufbau Hamburg und der Bonner Verdi-Jugend gegeben hätte. Richters meint, dass sie eine Notiz gefunden hätten über ein Organisationstreffen vor dem G20, in der auch verschiedene Gruppen – wie die Bonner Jugendbewegung – aufgelistet seien. Er könne aber zum Beispiel nicht sagen, ob der Angeklagte persönlichen Kontakt gehabt hätte. Des Weiteren fragt die Richterin Boddin, ob Richters konkrete Erkenntnisse zu den beiden Angeklagten habe. Zum Beispiel zur Einstellung zur Militanz der Angeklagten oder welcher Personengruppe sie zuzuordnen sei? Richters beantwortet die Frage damit, dass er das nicht wisse, aber die Angeklagte dem „Dresscode unterlegen“ gewesen sei, was wiederum auf eine Absprache im Vorfeld hinweisen würde. Wann und wo diese Absprachen erfolgt seien sollen, wisse er aber nicht.
Auf Nachfragen geht es noch einmal um eine bestimmte Schuhmarke, die immer wieder auftauchen würde, als auch um Arbeitshandschuhe und Fischerhüte und inwiefern hier von einem Dresscode die Rede sein könne.
Im weiteren Verlauf der Befragung geht es auch um die Organisation des Camps und des Aktionstages. Insbesondere wird von Richters die organisatorische Rolle eines Angeklagten einer anderen Rondenbarg-Verfahrensgruppe hervorgehoben. Dieser sei in Hamburg auch bekannt als Anmelder der 1.-Mai-Demonstrationen. Auf diesen würde es wiederholt zu Gewalt und Ausschreitungen und somit zu einem polizeilichen Großeinsatz kommen. Daraufhin kommt es zum Austausch zwischen der Richterin Boddin und Richters über das Auftreten des Schwarzen Blocks auf dem 1. Mai und inwiefern es Ähnlichkeiten mit dem Schwarzen Finger im Rondenbarg gäbe.
Weitere Fragen der Richterin Boddin beziehen sich auf den Aktionstag und inwiefern Dienststellen vorher Aufklärung betrieben, das heißt Bescheid gewusst hätten. Vereinzelt habe es, laut Richters, Informationen gegeben, aber aus dem Camp selbst habe es durch die Polizei keine Erkenntnisse gegeben. Seines Wissens seien dort keine verdeckten Ermittler*innen im Einsatz gewesen.
Nicht abschließend geklärt werden konnte die Frage, ob es auch am 08.07.2017 in der Schnackenburgallee zu Protesten kam, worauf eine Anzeige wegen eines Graffitis bei der Firma Matthies hinweisen könnte, was laut Richters jedoch nach seinen Ermittlungserkenntnissen nicht wahrscheinlich sei.
Die Fragen der Staatsanwältin Meesenburg und der Richterin Boddin bezüglich einiger ihnen vorliegenden Funkprotokollen der Einsatzkräfte, die für sie nicht verständlich sind, kann Richters nicht beantworten, da er selbst nicht mit den verwendeten Abkürzungen vertraut sei. Auch auf Nachfragen zu einem späteren Zeitpunkt zu einigen Details der Funkprotokolle, unter anderem wegen nachträglicher Ergänzungen, erläutert Richters, dass hierzu die Einsatzkräfte befragt werden sollten. Das Einsatzprotokollsystem sei eine Dokumentationsgrundlage, Funksprüche würden dokumentiert und weitergereicht werden. Diese Grundlage diene dann den Einheiten und Untereinheiten eigene Entscheidungen vor Ort zu treffen. Auf die Frage, warum welche Protokolle in die Akte aufgenommen wurden, antwortet Richters, dass alle gesichteten Protokolle, von denen es hieß, sie seien für das Rondenbarg-Verfahren von Interesse, aufgenommen wurden.
Zur Interventionistischen Linken, die laut Richters die Finger maßgeblich organisiert habe, könne Richters nichts weiter sagen. Er beschreibt, dass es beim G20 verschiedene linke Strömungen gegeben hätte, die egal welche politische Ausrichtung sie haben, bei den G20-Protesten zusammengearbeitet hätten.
Auf Nachfrage führt Richters aus, dass die in den Funkprotokollen auftauchenden Kategorien interne Kategorien seien, die die Militanz-Erwartung einer Versammlung abbilden würden. Kategorie grün stünde für „normale“ Demonstrierende, gelb sei dazwischen und rot stehe für eine hohe Militanz-Bereitschaft. Die Meldung „keine Uniform“ bedeute, dass keine uniformierten Einsatzkräfte vor Ort seien, aber von begleitenden zivilen Polizisten eine Gewaltbereitschaft erkennbar sei und daher uniformierte Einheiten angefordert werden müssten.
Auf Nachfrage gibt Richters an, dass das Motto „Color the Red Zone“ war – also in Richtung der Roten Zone zu kommen. Einen Bezug zur Elbchaussee sehe er nicht.
Auf Nachfrage des Anwalts Wedel nach verdeckten Ermittler*innen im Schwarzen Finger, teilt Richters mit, dass er davon keine Kenntnis habe. Wären jedoch verdeckte Ermittler*innen unterwegs gewesen, dann wäre sein Informationsstand bestimmt ein anderer. Er vermute, dass es vom Verfassungsschutz verdeckte Ermittler*innen gab, das entziehe sich aber seiner Kenntnis.
Richters fasst dann noch einmal sein Verständnis der Fünf-Finger-Taktik zusammen und verweist auch auf ein bereits eingeführtes Video von „Ende Gelände“. Er hebt hervor, dass es innerhalb der Finger kleinere Bezugsgruppen von vier bis sechs Leute gäbe, die sich intern auf einen Militanz-Grad einigen würden. Somit würde nicht übergeordnet bestimmt werden was gemacht wird, aber keine*r sei unfreiwillig dort und jede*r hätte sich entschieden dort mitzulaufen wo er mitlaufe. Der Grüne Finger habe massiv versucht Polizeiketten zu durchdringen. Im Pinken Finker wurde getanzt. Die Farbe sei nicht entscheidend. Wobei dem Schwarzen Block oder dem Schwarzen Finger sei die Militanz immanent und wie die genaue Bezeichnung laute, dies sei aus polizeilicher Sicht egal.
Auf Nachfrage erläutert Richters noch einmal sein Verständnis der Fünf-Finger-Taktik. Sie diene dazu Polizeikräfte zu binden, die Messehallen zu stören und die Rote Zone zu erreichen. Es ginge darum die Polizeikräfte zu zermürben und auszudünnen. Auch die Vorgänge in der Elbchaussee hätten die Taktik verfolgt Polizeikräfte aus der Roten Zone rauszulocken. Insgesamt hält Richters die Polizeitaktik während des G20 für erfolgreich.
Die Staatsanwältin Meesenburg stellt weitere Fragen zum Schwarzen Finger. Ziel sei es ja gewesen zu stören und die Polizei zu provozieren. Sie möchte von Richters wissen, ob das bei den anderen Fingern auch so gewesen sei. Richters wisse dies nicht mehr so genau, aber es hätten auch bei den anderen Fingern Aktionen stattgefunden, die Polizeikräfte gebunden hätten, was insgesamt ja die Taktik sei. Daraufhin antwortet die Staatsanwältin, dass sie dies nicht verstünde, wenn das Ziel doch sei in die Rote Zone vorzudringen, würde man doch durch das Provozieren der Polizeikräfte vorher aufgehalten werden. Richters erwidert, dass man das die an der Aktion Teilnehmenden fragen müsse. Auf Nachfragen erläutert Richters, dass es unklar ist, ob bei anderen Fingern gefährliche Gegenstände mitgeführt worden, da es hier zu keinen Festnahmen gekommen sei, da dies in dem Moment zu zeitaufwändig gewesen wäre.
Auf Nachfrage der Verteidigung, erläutert Richters, dass die Soko knapp 15 Monate mit der Beteiligung anderer Bundesländer bestand und in reduzierter Form als Ermittlungsgruppe „Schwarzer Block“ bis 2019 existierte.
Anwalt Richwin fragt, ob es sich beim Grünen Finger auch um einen Dresscode handelte? Dies bejaht Richters, die Farbe sei eigentlich egal, auch hier habe es interne Absprachen gegeben, was sie im Finger machen wollen würden.
Richters selbst habe den Auftrag gehabt die Akte aufzustellen, entsprechende Ermittlungsaufträge habe er an die Kolleg*innen weitergegeben. Er habe im Austausch mit seinem Vorgesetzten gestanden, aber er habe die Ermittlungen geführt. Auf Nachfrage von Anwalt Richwin, erläutert Richters wie die Analyse der Gesichtssoftware eingesetzt worden sei. Er war für die Bildauswertung zuständig und sei hier an seine Kapazitätsgrenzen gestoßen, weshalb eine Gesichtsanalysesoftware eingesetzt wurde. Hier fand ein Gesichtsvergleich statt mit allen möglichen Videos, die im Netz aufzufinden sind. Ziel sei es gewesen damit auch „unbekannte Täter“ zu identifizieren beziehungsweise herauszufinden ob Identifizierte auch woanders auftauchen.
Anwalt Wedel fragt wer entschieden habe, welche Videoaufnahmen an die Soko gingen und welche nicht. Richters antwortet, dass er sich nicht vorstellen könne, dass Videos nicht weitergegeben wurden, da sie ja dafür da seien. Auch Anwalt Wedel kommt noch einmal auf die Funkprotokolle zu sprechen, insbesondere interessiere ihn wer die Ergänzungen eingefügt habe. Außerdem, ob die Soko recherchiert habe, wie der Einsatzbefehl der Wasserwerfer vor Ort war. Hier liegen wohl nicht alle Protokolle vor. Richters antwortet, dass sich diese noch besorgen ließen.
Auch Richterin Boddin fragt noch einmal was die Gesichtsanalysesoftware genau mache. Richters erläutert, dass die Technik über rein biometrische Daten funktioniere, die Leistungsfähigkeit sei jedoch begrenzt gewesen. So hätten zum Teil auch Ermittler Gesichter auf Aufnahmen erkannt, die Software jedoch nicht. Die Richterin habe unter anderem deswegen nachgefragt, da es ein Bild gibt, auf der laut Staatsanwaltschaft die Angeklagte vermummt zu sehen sei. Diese Zuordnungen sind von Ermittlern und nicht durch die Software erstellt worden, so Richters.
Nachdem der Zeuge Richters entlassen wurde, liest die Richterin Boddin eine Erklärung vor, der alle Verteidiger*innen und die Staatsanwaltschaft zustimmen sollen. In dieser heißt es, dass die polizeilichen Vernehmungsprotokolle von zwei weiteren Polizeizeug*innen – Groth und Thordsen – aus dem Jahr 2017, die aus gesundheitlichen Gründen nicht vernommen werden können, die Vernehmung ersetzen soll. Außerdem möchte die Richterin, dass das Protokoll des G20-Sonderausschusses der Hamburger Bürgschaft vom 17.05.2018 die gerichtliche Vernehmung unter anderem vom damaligen Leiter Soko Schwarzer Block, Hieber, ersetzt. Die Verteidigung und die Staatsanwaltschaft sollen während der Mittagspause entscheiden, ob sie dem zustimmen.
Von 11:48 Uhr bis 13:10 Uhr findet die Mittagspause statt. Im Anschluss daran wird der Zeuge und Polizeibeamte in Hamburg, Michalak, geladen. Er soll zu seinen Beobachtungen am Morgen des 07.07.2017 befragt werden. Michalak war zu diesem Zeitpunkt in der Wache 26 als Dienstgruppenleiter „Fahndung“ und im Rahmen von G20 als ziviler Aufklärer tätig. Michalak selbst kann sich gar nicht mehr daran erinnern, eine Zeugenaussage im September 2017, die in die Prozessakte aufgenommen wurde, getätigt zu haben. Auf Nachfrage erklärt Michalak, dass er an dem fraglichen Tag selbst nicht auf dem Camp eingesetzt war, sondern mit seiner Kollegin vor dem Camp beobachten konnte wie sich eine Vielzahl von Menschen unter anderem mit Fahnen sammelten. Als sich die Menschen in Bewegung setzten ging er mit seiner Kollegin auf den Parkplatz Rot und von da aus konnten sie beobachten, wie sich die einzelnen Finger in Bewegung setzten. Nachdem sie sich erst mit dem Auto und dann zu Fuß Richtung Schnackenburgallee begaben, brachen sie die Observation ab, da sie keine weiteren Beobachtungen vornehmen konnten. Auch auf Nachfrage der Richterin, die aus seiner Zeugenaussage von 2017 zitiert, hat Michalak keine weiteren Erinnerungen mehr an zum Beispiel den Schwarzen Finger. Er habe auch nicht gesehen, dass Gegenstände mitgeführt oder Straftaten begangen wurden. Auf Nachfrage von Anwalt Richwin, sagt Michalak aus, dass es verschiedene Auftragslagen für ihn gab, dass die Fingertaktik bekannt gewesen sei und wahrscheinlich auch für diesen Tag erwartbar gewesen. Auf Nachfrage, sagt Michalak, dass er an einem anderen Tag auch mal direkt auf dem Camp gewesen sei, um einen besseren Einblick zu erhalten. Sobald er etwas zu berichten hatte, gab er das über Funk weiter an seinen Unterabschnitt „zivile Aufklärung“.
Nachdem auch dieser Zeuge entlassen wurde, wird die Erklärung von Staatsanwältin Meesenburg bezüglich des am vorangegangen Prozesstages als Sachverständigen geladenen Protestforschers Sebastian Haunss, verlesen. Siehe Prozessbericht 12 vom 12.04.2024. Ihrer Meinung nach seien seine Einschätzungen kritisch zu bewerten. Es sei nicht ersichtlich auf welcher Grundlage Haunss seine Erkenntnisse getroffen habe. Seine Einschätzung und Abgrenzung zwischen Schwarzen Finger und Schwarzem Block seien nicht klar. Unklar sei wie der Aktionskonsens aus dem Haunss zitierte zustande gekommen sei. Außerdem habe Haunss sich nicht mit Widersprüchen befasst. Dies sei wissenschaftlich vielleicht ausreichend, nicht jedoch strafrechtlich.
Anwalt Wedel widerspricht der Staatsanwältin, dass es in der Untersuchung von Haunss keine Abgrenzungskriterien zwischen Finger und Block gegeben habe. Wedel betont, dass Menschen am Finger teilgenommen haben, weil sie sich mit dem Aktionskonsens wohl gefühlt haben.
Anwältin Rohrlack geht auf die Erklärungen der Staatsanwältin vom 11.04.2024 ein. Die von der Staatsanwaltschaft zitierte Aussage des Polizeizeugens Jokschat, in der es um das Werfen von Flaschen und Rauchtöpfen ging, könne so nicht stimmen. Dies sei, laut Rohrlack, auf keiner Videoaufnahme zu finden und durch keine Zeug*innenaussage zu bestätigen.
Im Anschluss daran, verliest Anwalt Wedel eine Erklärung zu den zwei Zeugen Kawohl und Koenig-Marx sowie seine zwei Anträge.
Die Zeugen Kawohl und Koenig-Marx haben zu Protokoll gegeben, dass sie als Polizisten in Zivil am fraglichen Tag eingesetzt gewesen waren. Sie waren dem Einsatzabschnitt „Aufklärung“ und hier dem Unterabschnitt „Fläche“ zugeordnet. Nach der Aussage des Zeugen Kawohl sei der Abschnitt „Aufklärung“ während des G20-Gipfels für die Zivilbeamten zuständig gewesen und dem Unterabschnitt „Fläche“ seien die Beamten zugeordnet gewesen, die für die Aufklärung außerhalb von Versammlungen zuständig waren. Für Anwalt Wedel sei es naheliegend, dass der Unterabschnitt „Aktion Nord“, zu denen der Zeuge Kawohl auf Nachfrage keine Angaben machen konnte, für die Zivilbeamten innerhalb von Versammlungen zuständig war. Das Mitlaufen des Zeugen König-Marx beim Blauen Finger, zeige, dass der Einsatz verdeckter Ermittler innerhalb von Versammlungen von der Einsatzleitung nicht grundsätzlich ausgeschlossen war.
Weiter stellt Anwalt Wedel den Antrag den Einsatzabschnittsleiter des Abschnitts „Aufklärung“, Lodahl, als Zeugen zu laden. Dieser wird bekunden, dass es am Morgen des 07.07.2017 in den Versammlungen zum Einsatz der Polizei in Zivil gekommen sei und diese dem Einsatzabschnitt Aufklärung, Unterabschnitt „Aktionen Nord“ zugeordnet waren. Es sei, laut Wedel, eine „entscheidungserhebliche Tatsache“, die Frage zu klären, ob Zivilbeamte im Schwarzen Finger mitgelaufen seien. Dies würde – nach der durch die Kammer im Rechtsgespräch am 15.03.2024 geäußerten Rechtsauffassung – eine „rechtsstaatswidrige Tatprovokation“ darstellen und Auswirkungen auf die Gerichtsentscheidung haben. Es würde gegen das „Recht auf ein faires Verfahren“ verstoßen, wenn staatliche Behörden selbst zur Begehung einer Straftat beitrügen, um diese dann zu bestrafen. Eine Tatprovokation sehe der BGH als verwirklicht an, „wenn eine Person durch einen Amtsträger in einer dem Staat zurechenbaren Weise zu einer Straftat verleitet wird und dies zu einem Strafverfahren führt“. Im Weiteren führt Anwalt Wedel aus welche Kriterien, laut BGH, für eine (un-)zulässige Tatprovokation sprechen.
Nach der durch die Kammer im Rechtsgespräch am 15.03.2024 – siehe hierzu Prozessbericht 09 vom 21.03.2024 – geäußerten Rechtsauffassung, wäre bereits mit der Teilnahme von Zivilbeamten, in im Kleidungsstil und Auftreten an die Teilnehmenden des Schwarzen Fingers angepasster Form, die „Grenze zur rechtsstaatswidrigen Tatprovokation“ überschritten. Sollte die Kammer im Rondenbarg-Verfahren die gleiche Rechtsaufassung anwenden, wie sie das BGH im Elbchaussee-Verfahren vertritt, stelle bereits die Beteiligung in entsprechender Kleidung einen aktiven täterschaftlichen Beitrag dar, dabei käme es nicht mehr darauf an, ob die Person selbst Gewalttätigkeiten begehen wolle. Es zeige sich, auch mit Verweis auf ein weiteres Verfahren am OLG Dresden, dass nach dieser Rechtsauffassung mitlaufende Zivilbeamte nicht nur passiv ermitteln, sondern einen „aktiven erheblichen Beitrag zur Tatbestandsverwirklichung“ erfüllen würden. Laut Rechtsprechung des BGH, stellt die „rechtsstaatswidrige Tatprovokation“ ein Verfahrenshindernis dar.
Der zweite Antrag von Anwalt Wedel betrifft das Hinzuziehen der Videoaufnahmen des am 07.07.2017 im Bereich Volksparkstation/Autobahn eingesetzten Hubschraubers in die Verhandlung. Laut einer Kleinen Anfrage an den Senat durch Abgeordnete der Hamburgischen Bürgschaft, im Rahmen der parlamentarischen Aufarbeitung des G20-Gipfels, gebe es Videoaufzeichnungen des genannten Hubschraubers. Dieses Videomaterial sei jedoch bislang dem Sonderausschuss der Hamburger Bürgschaft noch nicht vorgelegt worden, da die zuständige Staatsanwaltschaft Hamburg angab, dass dieses Beweismittel in laufenden Ermittlungsverfahren sei. Anwalt Wedel beantragt die Inaugenscheinnahme dieser Videoaufnahmen, da zu erwarten sei, dass diese Aufnahmen das Einbiegen der Versammlung von der Schnackenburgallee in den Rondenbarg zeigten und somit für die Urteilsfindung, unter anderem zur Überprüfung von Zeugenaussagen, von Bedeutung seien könnten.
Im Anschluss daran äußert sich die Staatsanwältin Meesenburg zu den beiden Anträgen. Ihres Wissens sei kein Hubschrauber dort unterwegs gewesen und es gäbe keine Videoaufzeichnungen zum Rondenbarg vom Hubschrauber aus. Die Zeugenanhörung des Zeugen Lodahls würde auch nur bestätigen, dass es keine verdeckten Ermittler*innen vor Ort gab, sonst hätte man mehr Informationen, wie es auch der Zeuge Richters dargelegt hätte.
Die Richterin Boddin erklärt, dass sie das Protokoll des Sonderausschusses „gewalttätige Auseinandersetzungen rundum den G20“ noch einsehen möchte sowie Akteneinsicht in die Personenakte des Angeklagten einer anderen Rondenbarg-Verfahrensgruppe, der auch für die Anmeldung der Demonstration am 1. Mai bekannt sei, beantragen wolle.
Außerdem fände es die Richterin hilfreich, wenn auch die Angeklagten Aussagen tätigen würden.
Gegen 14 Uhr wird die Verhandlung für heute unterbrochen.