Bericht vom 21. Prozesstag (15.08.24)

  • Beitrags-Kategorie:Prozessberichte

Der Prozess findet weiterhin im Hochsicherheitsbereich des Landgerichts im Saal 288 statt. Er beginnt um 9:50 Uhr. Alle Prozessbeteiligten sind anwesend: die drei Berufsrichter*innen, zwei Schöffinnen, eine Staatsanwältin, die vier Verteidiger*innen und die beiden Angeklagten. Es sind 17 Prozessbeobachter*innen gekommen.

Zuerst werden mehrere Berichte der Polizei-SOKO (Sonderkommission) „Schwarzer Block“ aus den Akten verlesen und damit formal ins Hauptverfahren eingeführt. Dabei geht es um die Ereignisse am 07.07.2017 in ihrer Gesamtheit. Vieles beruht auf Berichten von Ämtern des Inlandsgeheimdienstes „Verfassungsschutz“ (VS). Dabei werden die unterschiedlichen Finger der Blockadeaktionen beschrieben, bewertet und zum Teil Organisationen zugeordnet. Es werden auch Personen in den Akten und im Prozesssaal konkret benannt.

Laut dem ersten Bericht sei das massenhafte Eindringen in die „Rote Zone“ sowie die Blockade der Zufahrtswege oberstes Ziel gewesen. „Block G20“ habe dafür fünf Finger organisiert. Für mittags sei ein „Sturm auf die Elbphilharmonie“ geplant worden, aber auch Blockaden im Hafengebiet, um die Logistik lahmzulegen so der VS.

Nach dem zweiten Bericht habe die Mobilisierung zu den G20-Protesten in verschiedenen Bündnissen stattgefunden, die politisch auch konkurrierende Interessen gehabt hätten. Das Bündnis „G20 entern“ wird dem „Roten Aufbau Hamburg“ zugeordnet. Eine Person wird namentlich benannt. Das Bündnis „G20 entern“ hätte sich als „Schwarzer Finger“ an der Aktion „Colour the Red Zone“ beteiligt.

Laut VS seien die Aktionskonferenzen für „Block G20“ vor allem von der Interventionistischen Linken (IL) verantwortet worden, aber auch das Projekt Revolutionäre Perspektive Hamburg (PRP) und kurdische Strukturen werden in diesem Zusammenhang benannt, sowie skandinavische Bündnispartner*innen. Es gebe beim VS Berichte über AG-Treffen. Der Aktionskonsens habe ergeben, „keine militanten Gruppierungen in den Fingern zuzulassen“, aber es habe keinen expliziten Gewaltverzicht gegeben. Der gewählte Aktionsausdruck sollte bunt sein, wozu auch schwarz gehöre. Laut VS hätten sich die Hamburger Autonomen aber nicht an den Aktionskonsens gebunden gefühlt.

Die SOKO hatte laut eigenen Angaben Vorabinformationen zu den verschiedenen „Fingern“, die in den Berichten dann um die Beobachtungen von Beamt*innen vor Ort ergänzt wurden.

Der Blaue Finger sei für 600 Leute geplant gewesen. Tatsächlich seien laut Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg aber nur etwa 300 Menschen weitgehend in blau gegen 5:30 Uhr aus dem Camp gekommen. Es seien zwei Aktivist*innen der IL, darunter eine aus Berlin, sowie zwei aus Bologna erkannt worden. Letztere wären bei den Protesten gegen die EZB-Eröffnung in Frankfurt am Main festgenommen worden.

Der Grüne Finger habe genauso wie der Blaue die Messehallen nördlich anlaufen wollen. Gegen 6 Uhr seien etwa 350 Personen gestartet. Darunter wären mehrere von der Gruppierung „Revolution“ erkannt worden. Angeblich die Berliner Ortsgruppe. Die Farbe Grün und die Ausstaffierung mit OP-Kitteln sollte auf Missstände im Gesundheitsbereich hinweisen. Am Ende des Fingers wären Gewerkschaftsjugenden gelaufen.

Ein Roter Finger mit 200 Personen habe sich zum nächstgelegenen S-Bahnhof begeben. Darunter angeblich Leute von Attac und der IL Lübeck. Da der S-Bahn-Verkehr eingestellt war, hätte der Finger die Innenstadt nicht erreichen können. Ein weiterer Finger aus rot gekleideten Personen habe sich am Bahnhof Berliner Tor getroffen.

Der Lila Finger mit Treffpunkt an den Landungsbrücken sei der größte mit etwa 1000 Personen gewesen. Die Farbe stehe für „queerfeministische Aktionen“. Mehrere IL-Aktivist*innen wurden angeblich persönlich erkannt. Es wären Personen da gewesen, die unter den lila Anzügen schwarze Kleidung getragen hätten.

Ein Weißer Finger von 150 bis 200 Personen mit Treffpunkt in der Bernhard-Nocht-Straße, bei dem sich die Cops an „Ende Gelände“ erinnert fühlten, habe sich später dem Lila Finger angeschlossen.

Über den Schwarzen Finger hätten keine Vorkenntnisse von Polizei und VS vorgelegen. Das Leittransparent habe „Gegenmacht aufbauen, Kapitalismus zerschlagen“ gelautet. Es seien Personen identifiziert worden, die dem Roten Aufbau Hamburg, der Antikapitalistischen Aktion Bonn (AKAB) und der Antifaschistischen Aktion Stuttgart zugeordnet werden, auch der mutmaßliche Anmelder eines Sonderzuges. Des Weiteren wird eine Verbindung zu österreichischen Aktivist*innen behauptet.

Nach SOKO-Auswertungen habe der Schwarze Finger das Camp nach Blau und Grün, aber nicht südlich, sondern östlich über die Schnackenburgallee verlassen. Es sei zu „kleineren Sachbeschädigungen“ gekommen. Nach Abbiegen in den Rondenbarg wurde der Finger gleichzeitig von hinten mit Wasserwerfern und von vorne durch den Ansturm der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) Blumberg angegriffen. Etwa 80 bis 100 Personen seien geflohen. Sie hätten sich nach Analyse von Fluchtwegen danach zum Teil dem Blauen Finger angeschlossen. Eine Person wird beschrieben, die angeblich bei beiden Fingern abgebildet ist.

Ein Video einer Pressekonferenz von „Block G20 – Colour the Red Zone“ wird gezeigt und somit in den Prozess eingeführt. Die Sprecher*innen auf dem Podium tragen grüne, rote und lila Kleidung. Der Aktionskonsens wird dargestellt. Es gehe darum „die Macht, die der Gipfel darstellt, zu brechen“. Dies sollte mit Menschenblockaden und kreativen Materialblockaden geschehen. „Von uns aus wird dabei keine Eskalation ausgehen“, heißt es in dem Video. Es wird auf Aktionstrainings und eine Aktionskarte verwiesen. Die Treffpunkte Berliner Tor und Landungsbrücken werden öffentlich bekanntgegeben. Verschiedene vor polizeilicher Gewalteinwirkung schützende und auch symbolische Gegenstände, die mitzunehmen seien, werden in dem Video gezeigt. Die Farben der Finger werden inhaltlich erklärt, zum Beispiel grüner Finger gleich Gesundheitsbereich und Lila Finger gleich Queerfeminismus.

Danach werden Fotos aus einer Lichtbildmappe gezeigt. Hier sind verschiedene Personen abgebildet – angeblich nahe beim Camp und im Zusammenhang mit dem Schwarzen Finger. Mehrere von ihnen sind mit rotem Filzstift markiert und namentlich benannt.

Die Angeklagte wird zu persönlichen Angaben befragt, die sie verweigert. Daraufhin werden Angaben aus einer Haftprüfung vom 09.07.2017 eingeführt, wonach sie damals Studentin war. Die Staatsanwaltschaft hatte seinerzeit Haftbefehl beantragt, was abgelehnt wurde, da kein schwerer, sondern nur „einfacher“ Landfriedensbruch vorläge. Gleichwohl wurde Polizeigewahrsam bis zum 09.07. verhängt. Die Beschuldigte hätte „physisch und psychisch Gewalttaten unterstützt“, und müsse daher zur präventiven Gefahrenabwehr in Gewahrsam bleiben.

Der Angeklagte beantwortete bereits zuvor Angaben zur Person, machte aber keine zur Sache. Auch er war bis zum 09.07. in Gewahrsam, auch bei ihm wurde der Antrag auf Haftbefehl aus demselben Grund abgelehnt.

Sodann vergewissert sich das Gericht, dass die Vernehmungsprotokolle, die am 19.07. in die Verhandlung eingeführt wurden, von allen Beteiligten gelesen wurden.

Das Gericht verkündet, dass die Zeug*innen Groth, Elwert, Starke und Thordsen nicht vor Ort aussagen müssen und stattdessen ihre Aussagen in den Akten herangezogen werden. Ihre Aussagen seien für den weiteren Prozessverlauf nicht notwendig.

In der Folge geht es um die Bedeutung der Aussage des Zeugen Schindelar vom Landesamt für Verfassungsschutz Niedersachsen, der beim letzten Prozesstag nicht offiziell entlassen wurde. Anwalt Richwin zieht den Antrag zurück, einen weiteren Verfassungsschützer zu laden – aber es sei wichtig, auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover (Niedersachsen) zu warten, ob Schindelar mehr aussagen muss.

Mittagspause von 11:20 bis 13:00 Uhr

Nach der Pause verliest die Richterin einen Fund aus dem Internet über die angebliche Arbeitsstelle der Angeklagten – inklusive Aufgabenbeschreibung und Namensnennung von Kolleg*innen.

Weitere Verlesung aus der Akte: Am 05.07. habe es frühmorgens Treffpunkte von Block G20 am Berliner Tor und am Camp gegeben, weiterhin um 15:00 Uhr am Millerntorplatz für eine zusätzliche Welle. Es habe Hinweise auf Aktionsplanungen am 06.07. im Camp gegeben, Bezugsgruppenbildung und ein Legal Team.

Aus dem Bundeszentralregister wird verlesen, dass beide Angeklagte keine Einträge haben.

Daraufhin stellen die Verteidiger*innen verschiedene Anträge in Form von Erklärungen, die auf Zeug*innenaussagen eingehen.

Antrag von Anwalt Schrage: Der Zeuge Schlitt, Wasserwerfer-Fahrer von HÜN 1 sagte, dass ihm kein Rauch oder herumliegende Steine im Kreuzungsbereich Schnackenburgallee/Rondenbarg aufgefallen seien. Damit steht seine Aussage im Widerspruch zu den Behauptungen des Zeugen Jokschat (Hundertschaftsführer aus Eutin).

Anträge der Anwältin Rohrlack: Die Aussage des Zeugen Lodahl (Einsatzführer von zivilen „Aufklärer*innen“) ist kritisch zu betrachten. Er wusste von der Fingertaktik und hat zivile Aufklärer*innen eingesetzt. Angeblich aber nur an, jedoch nicht in der Demo. Vier Finger hätten das Camp verlassen. Seine Leute wären nur dem schwarzen gefolgt. Er hat zwei Mal vor Gericht ausgesagt. Wegen der Auswechslung des befangenen Schöffen war dies nötig. Seine zweite Aussage weicht stark von seiner ersten ab. Nur bei der zweiten Aussage gab er an, dass fast alle vermummt gewesen seien, eine Bake auf die Straße gezogen worden wäre und angeblich Werbetafeln zerstört worden wären. Ferner hätten kaputte Gehwegplatten herum gelegen. Zur Frage eines möglichen Bewurfs der Eutiner Einheit könne er nichts sagen. Bei der ersten Aussage fand er die Demo „etwas unfriedlich“, bei der zweiten „gewalttätig“. Die zweite Aussage war insgesamt detailreicher. Der Zeuge sagte, er hätte nach der ersten Aussage mit Kollegen über den Prozess gesprochen und auch Prozessberichte im Internet gelesen. Also berichtete er bei seiner zweiten Aussage in Kenntnis der Aussagen anderer und nicht aus eigener Erinnerung. Insbesondere über die Farbe des gezündeten Nebeltopfes kann er zudem nichts von seinen Aufklärer*innen wissen. Es weiß nichts von Meldungen über Bewurf im Funk, „seine“ Aufklärer*innen waren nicht in der Demo drin. Die Zeugin Groth, die zu seiner Einheit gehörte, hätte Bewurf von Polizeikräften aber sehen müssen, da sie hinter der Demo auf dem Fahrrad herfuhr. Der Zeuge beschrieb den Schwarzen Finger als Teil einer Gesamttaktik, nicht als „Schwarzer Block“.

Anwältin Rohrlack gibt eine Erklärung zum in den Prozess eingeführten Kartenmaterial ab. Dieses ergibt, dass die im Rondenbarg zerschlagene Demo Teil der Fingertaktik war und auch so bewertet wurde – alle Finger sind auf dieser – wohl von Polizist*innen angefertigten – Karte verzeichnet. Alle anderen Finger haben ihr Ziel nahe der roten Zone erreicht. Auch der Schwarze Finger war in diese Richtung unterwegs, hätte die Polizei ihn nicht gestoppt. Die militante Elbchaussee-Demo ist hingegen nur gestrichelt verzeichnet.

Eine weitere Stellungnahme zu den gezeigten Videos von Spiegel-TV und von der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 2017 erfolgt durch Anwältin Rohrlack: Die gezeigten Videos zeigen die Vielfalt der Protestformen. Der Spiegel stellt diese der Randale im Schanzenviertel gegenüber. In Bezug auf die Finger fällt auf, dass in zweien Anglerhüte getragen wurden, nicht nur im schwarzen. Auch sind in allen Fingern schwarz Gekleidete zu erkennen, die auch verschiedene Formen des Gesichtschutzes tragen. In allen Fingern gab es Leittransparente und Megaphone, auch im Schwarzen. In einem gezeigten Video ist ein bewaffneter Zivilpolizist zu sehen. Das Video von der LL-Demo, wo der männliche Angeklagte zu sehen sein soll, gibt keinen Aufschluss darüber, ob er während des G20-Gipfels Mitglied der Organisation war, für die er im Januar 2017 vermeintlich sprach.

Anwältin Rohrlack gibt eine Stellungnahme zu dem heute gezeigten Video über die Pressekonferenz von BlockG20 ab: In dem Video wird die Fingertaktik erklärt sowie die Bedeutung der Aktionsfarben. Die Darstellung des Aktionskonsenses entspricht der Aussage des Zeugen Sebastian Haunss (Protestforscher). Geplant war, dass sich alle Finger vor der Roten Zone treffen. Die Polizei wurde nicht als anzugreifender Gegner angesehen, sondern es sollte versucht werden, ein Aufeinandertreffen zu vermeiden. Der Konsens ist als eine Art Grenzlinie zu verstehen, bei den Bezugsgruppen hatten Menschen die Möglichkeit, ein noch vorsichtigeres Verhalten zu vereinbaren. In der „Safety-Card“ über mitzubringende Gegenstände, die auf der Pressekonferenz vorgestellt wird, werden Hüte als Sonnenschutz empfohlen, welche auf der Abbildung in Form von Anglerhüten dargestellt sind. Die „Safety-Card“ war schon am 03.07. im Netz, so dass sich alle Interessierten vorbereiten konnten. Das Video der Pressekonferenz war ab dem 05.07. im Internet abrufbar.

Erklärungen und Anträge von Anwalt Wedel: Laut Aktenlage waren Mitarbeiter*innen verdeckt an Block G20 beteiligt. Es ist aber unklar, in welcher Funktion. Auch verdeckte Ermittler*innen der italienischen Polizei hätten sich aktiv beteiligt. In den Hinweisen, die die SOKO „schwarzer Block“ bekam, stehen auch Hinweise, die nicht über öffentliche zugängliche Quellen, sondern nur über verdeckte Strukturermittlungen erlangt worden sein können. Es liegt ein Verfahrenshindernis vor. Die Vorbereitung von Block G20 in Anwesenheit von verdeckten Geheimdienstmitarbeiter*innen kann auf eine provokative Beihilfehandlung selbiger hindeuten. Selbiges gilt für die italienische Polizei. Das Gericht müsse alles dafür tun, dies aufzuklären, inwiefern das auch für den Schwarzen Finger gilt – hat es aber nicht getan. Die italienischen Beamt*innen könnten über das BKA geladen werden.

Daraus folgt ein Einstellungsantrag von Anwalt Wedel nach Paragraf 206a Abs. 1 der Strafprozessordnung (Einstellung des Verfahrens bei Verfahrenshindernis). Das Verfahren ist einzustellen, da eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation durch Behörden nicht ausgeschlossen werden kann. Insbesondere durch die begrenzte Aussagegenehmigung des Zeugen Schindelar vom VS Niedersachsen besteht hier keine Aufklärungsmöglichkeit. Nach dem Prinzip „in dubio pro reo“ – Latein für „Im Zweifel für den Angeklagten“ – ist somit kein faires Verfahren mehr möglich. Laut einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) darf sich das Geheimhaltungsinteresse des Staates nicht negativ für die Angeklagten auswirken. Hier sei eine „besonders umsichtige Beweiswürdigung“ (BGH) notwendig. Verfahrensrechtliche Gestaltungen, die der Ermittlung der Wahrheit und somit einem gerechten Urteil entgegenstehen, können daher den Anspruch des Angeklagten auf ein faires Verfahren beeinträchtigen. Zu diesen Beschränkungen zählen auch die behördliche Verweigerung von Aussagegenehmigungen.

Zweitens war die 2018 enttarnte Vertrauensperson des VS Niedersachsen Gerrit Greimann an den Aktionen gegen G20 beteiligt gewesen. Nach Aussage des Zeugen Schindelar dürfen V-Leute „szenetypische Straftaten“ begehen, um nicht aufzufallen. Dazu gehören zum Beispiel Vermummung und leichte Sachbeschädigungen. Es sei aber kein „steuernder Einfluss“ erlaubt – und die V-Leute des Geheimdienstes dürfen wegen des „Trennungsgebotes“ nicht gleichzeitig mit der Polizei zusammenarbeiten. Greimann war auf eine Gruppe der IL Göttingen angesetzt, mit sieben bis acht Personen als „Bezugsgruppe“ nach Hamburg gereist und ist zweimal in Polizeigewahrsam genommen worden. Nach seiner Enttarnung musste die Chefin des niedersächsischen Verfassungsschutzes zurücktreten. Im Rondenbarg sind mehrere Leute aus Göttingen festgenommen worden. Göttingen war ein Schwerpunkt der Hausdurchsuchungen im weiteren Ermittlungsverlauf. Es liegt daher nahe, dass der V-Mann im Schwarzen Finger war. Zeuge Schindelar hat zum Punkt, ob V-Leute hier dabei waren, unter Bezugnahme auf seine eingeschränkte Aussagegenehmigung geschwiegen und sich auch nicht dazu äußern wollen, ob V-Leute nach Festnahmen schnell wieder entlassen werden.

Nach europäischem Recht ist es ein Verfahrenshindernis, wenn eine Tatprovokation durch Amtsträger*innen stattfindet. Passives Mitlaufen ist erlaubt, psychologischer Druckaufbau bereits nicht. Soweit das Gericht die Rechtsauffassung vertritt, dass bereits die Teilnahme an einer Versammlung ohne eigenhändige Begehung weiterer Straftaten den Tatbestand des § 125 StGB erfüllen könne, wenn eine Person durch das Anlegen schwarzer Kleidung, einheitlichem Schuhwerk oder Vermummung Störer*innen das Untertauchen in der Gruppe ermögliche, hierdurch Gewalttäter*innen unterstützt und zu einer nach außen hin zur Schau gestellten Militanz beitrage, wäre die Grenze zur rechtsstaatswidrigen Tatprovokation durch V-Personen bereits durch die Teilnahme in einer entsprechenden Aufmachung überschritten. Diese Rechtsauffassung würde bedeuten, dass jede Person durch ihre Anwesenheit in der Versammlung einen objektiv nach außen hin erkennbaren Beitrag geleistet hat und hierdurch die Personen, von denen Straftaten ausgegangen sind, in ihrem Tatentschluss bestärkt und ihnen ein erhöhtes Gefühl der Sicherheit gegeben hätte. Die Beteiligung der V-Personen würde sich somit nicht auf eine rein passive Informationsgewinnung beschränken, sondern einen aktiven Tatbeitrag darstellen.

Aus den Auswertungsberichten geht hervor, dass V-Personen in die Vorbereitung der Gipfelproteste eingebunden gewesen sein mussten. In einem Bericht in der Akte über die Vorbereitung des Schwarzen Fingers sind zwei Passagen geschwärzt was in dem Vortrag aus Polizeiberichten im Hauptverfahren nicht erwähnt wurde.

Hilfsweise wird die Aussetzung des Verfahrens beantragt, bis das Verwaltungsgericht Hannover darüber entschieden hat, ob Schindelar vom Verfassungsschutz Niedersachsen weitere Angaben im Prozess machen muss.

Die anderen Verteidiger*innen schließen sich den Anträgen an.

Die Staatsanwältin sieht kein Verfahrenshindernis, weist beide Anträge zurück. Es sei nicht sicher, ob die mutmaßliche V-Person überhaupt im Rondenbarg anwesend war, die Verteidigung hätte nur Rückschlüsse gemacht, auch aus dem Spiegel-Bericht. Es sei doch viel nahe liegender, dass er bei den anderen, bunten Fingern dabei war. Die Verteidigung habe nur allgemeine Aussagen gemacht und Polizeimeldungen bewertet. Auch wären, nach Ansicht der Staatsanwaltschaft, die Teilnehmenden ohne Einwirken von V-Personen bereits durch Anlegen einheitlicher Kleidung „tatgeneigt gewesen“.

Nun wird noch eine Meldung des Verfassungsschutzes Hamburg – wohl eine Vorabeinschätzung – verlesen: Vier Finger wurden nördlich und südlich der Elbe erwartet, 600 Menschen im Blauen Finger aus dem Camp, die Kreuzungen blockieren, 600 Menschen im Grünen Finger, vor allen aus Süddeutschland, 600 Menschen im Lila Finger an den Landungsbrücken und ein Roter Finger. Der Rote Aufbau Hamburg hätte vorgehabt, nebst verbündeter Gruppen möglicherweise einen weiteren Finger um 5:30 Uhr vom Camp aus zu starten.

Die Richterin teilt mit, dass bei einem späten Verfahrensstadium Freispruch vor Einstellung geht. Eine Aussetzung des Verfahrens würde bedeuten, dass zu einem späteren Zeitpunkt die gesamte Hauptverhandlung nochmal von vorne losgeht. Sie möchte wissen, welche neuen Fragen die Verteidigung an den Zeugen Schindelar hat und drängt darauf, ihn zu entlassen.

Anwalt Richwin möchte von ihm wissen, ob V-Leute an Treffen in Göttingen teilgenommen haben und ob sie, wenn ja, an Treffen von IL-Strukturen in der Planungsphase beteiligt waren.

Die Richterin benötigt Zeit für eine Entscheidung über die Anträge, daher entfällt der Termin am 16.08. Der Prozesstag endet gegen 15:30 Uhr.